Die Saalenixen von Trotha

Vor langer Zeit,

 

als Trotha noch nicht zu Halle gehörte, gab es in dem Dorf einen Schäfer. Wie zu der Zeit üblich, zog der Schäfer mit seinen Hunden, dem Schäferkarren und den Schafen der Gemeinde über Land durch die Saaleniederung, um die Schafe zu den fettesten Weidegründen zu führen.

Dieser Schäfer nun zog am Ufer der Saale entlang und vertrieb sich des Abends, wenn die Schafe eingepfercht waren, die Zeit mit einem Flötenspiel. So saß er denn eines Abends auf den Klausbergen über dem Fluss und spielte auf seiner Flöte manche schöne Weise.

Als er nun ein Tanzlied spielte, gewahrte er auf der anderen Seite der Saale auf der Wiese einige Schatten. Da hörte er mit dem Flöten auf und blickte genauer hin. Was er sah, ließ ihm einen Schrecken durch die Adern fahren. Dort auf der Wiese tanzte eine Schar Nixen ihren Reigen! Der Schäfer hub wieder an zu flöten und schaute den Nixen bei ihrem Tanze zu. Wie sie im Mondenschein ihre schönen nassen Körper wiegten, ihre silbern scheinenden Haare im Winde wehen ließen – dieser Anblick verzauberte den Schäfer geradezu.

Plötzlich schlugen die Glocken des nahen Kirchturms elfmal. Dumpf hallten die Schläge herüber. Da hielten die Nixen in ihrem ausgelassenen Treiben inne und verschwanden eine nach der anderen in den Fluten des Flusses.

Am nächsten Tage fragte sich der Schäfer, ob er nur geträumt hatte oder die Nixen tatsächlich zu seinem Flötenspiel tanzten. Neugierig stieg er deshalb des Abends wieder auf die Klausberge und hub erneut sein Spiel an. Nicht lange darauf teilten sich die Wasser der Saale und die Nixen stiegen wiederum ans Ufer. Und wie am Abend zuvor tanzten sie nach des Hirten Pfeife.

Das ging so Abend für Abend bis Schlag elf und der Schäfer konnte sich an dem Anblick der Nixen nicht satt sehen. Viel zu schnell war die Zeit jedesmal vorbei. Da sann der Schäfer, wie er sich den Augenschmaus verlängern könnte und kam auf eine waghalsige Idee.

Am nächsten Abend, bevor er die Klausberge erklomm, bestieg der Schäfer den nahen Kirchturm und stellte die Turmuhr eine Stunde zurück. Leise kamen ihm auf der schwankenden Leiter Zweifel, ob das eine gute Idee gewesen sei. Doch der Spaß war es ihm wert.

An der gewohnten Stelle auf dem Felsen angekommen, spielte er jede Melodie, die ihm einfallen wollte und ergötzte sich an dem Anblick der tanzenden Nixen, bis diese sich erschöpft ins Gras fallen ließen und Atem holten. Da schlug die Turmuhr elf und die Nixen verschwanden wie gewöhnlich.

Doch gleich darauf hörte der Schäfer ein Weinen und Wehklagen aus der Tiefe und kroch schauernd in seinen Schäferkarren. Doch Schlaf konnte er nicht finden. Noch immer klang ihm das Jammern im Ohr.

So setzte er sich denn wieder auf den Felsen und starrte auf den Fluss, bis der Morgen anbrach. Im ersten Sonnenstrahl sah er, wie sich der Fluss aufbäumte und ein langer blutroter Streifen sich durchs Wasser zog.

An diesem Tage mussten die Hunde seine Arbeit mit übernehmen, denn der Schäfer war nicht bei der Sache. Abends dann zog er beklommen seine Flöte wieder hervor und lockte die Nixen mit sanften Tönen. Doch weder traurige noch fröhliche Melodien vermochten die schönen Geschöpfe aus den Fluten herbeizurufen. Sie hatten allesamt sterben müssen. Und noch immer war das Wasser rot gefärbt.

Vor lauter Gram warf der Schäfer seine Flöte von sich und legte sich auf den nackten Felsen. Am Morgen fand man ihn dort leblos auf.